Tief im Westen

Unterwegs mit der Bahn nach einem schönen Wochenende in Hamburg und Bremen. Durch den Neubau zwischen Köln und Frankfurt fährt man jetzt am kürzesten über Köln. Schöne Abwechslung. Die Strecke macht auch was her, vor allem das letzte Stück zwischen Dortmund und Köln, auf dem es viel zu sehen gibt. Die Wuppertaler Schwebebahn zum Beispiel. Ich wußte zwar, daß es sowas gibt aber weder, daß es sich dabei um ein über einhundert Jahre altes jugendstil-angehauchtes Bauwerk handelt, noch, daß fast die gesamte Strecke über dem Fluß verläuft. Der Zug fährt nebenher und man sieht das Geschlängel und das Chaos an Stelzen.
Neben mir ein Kerl mit abgewetzen gelblichen Lederhosen, weißen Haaren und einem Büchlein von Schopenhauer auf dem Schoß. Zuerst machte er auf sich aufmerksam, als er sich über den Verfall der Sprache beschwerte, Anlaß war eine Ansage des Zugbegleiters. Fast nach jeder Kurve wuchs die Verspätung und die Liste der noch erreichbaren Reisemöglichkeiten hörte sich immer verzweifelter an. Ich frage mich manchmal wirklich, ob die Bahn-Baustellen einfach vom Himmel fallen. Wenn es klar ist, daß es dadurch auf der Strecke 20 Minuten länger dauert, wieso werden dann dem Kunden Verbindungen verkauft, die nur 10 Minuten Zeit zum umsteigen lassen? Sowas kann mich schon etwas anheizen. Inzwischen war mein Nachbar auch angeheizt, aber vermutlich eher wegen fehlendem Dativ, oder einem Komma, ich hatte es nicht so ganz mitbekommen. Aber die Gelegenheit zu einer herzerfrischenden Diskussion wollte ich auch nicht ungenutzt verstreichen lassen. Das gelingt am besten, indem man dem Gebrummel gleich im ersten Satz herzhaft widerspricht. Gesagt getan frisch zu Werke und die nächsten 50km vergingen wie im Fluge, bis mein Gesprächspartner leider aussteigen mußte.

Kurz vor Köln kommt der Zug dann aus diesem Tal heraus. Tal ist eigentlich schon zuviel gesagt, Einkerbung wäre passender. Auf einmal kann man weit schauen und wenn es der Zufall will, wie ich einen fürchterlich romantischen Sonnenuntergang betrachten. Dazu wird die von meiner Gattin so verhaßte Grönemeyer-Melodie gesummt (wahrscheinlich nur verhaßt, wenn von mir intoniert), während sich ein undefiniertes Wohlbehaben einstellt.

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